1979

Gegründet

als Protestaktion

40

Jahre

Umsonst & Draußen

40

Festivals

Umsonst & Draußen

5000

Besucher

an drei Tagen

Die Geschichte von Wutzrock

Das Logo der Bewegung "Jugendzentrum? Aber dalli!" aus dem Jahr 1978.

Nichts hält länger als ein gutes Provisorium

1978 zeigt die auf Masse bedachte Wohnungsbaupolitik der 60er Jahre mit den Großwohnsiedlungen in Lohbrügge-Nord oder Bergedorf-West deutliche Zeichen ihres Scheiterns. Die kleinen Kinder aus den Neubauwohnungen waren zu Jugendlichen herangewachsen. Doch gibt es in diesen hastig erbauten Wohnanlagen keine Orte für diese jungen Menschen. Daran hatte keiner gedacht – wie auch. Die Planer selbst haben ihre eigene Jugend eher in Bunkerstellungen verbringen müssen. Dass es so etwas wie freie Zeit geben könnte, also die Abwesenheit jeglicher Pflicht, war der Normalbevölkerung, wenn auch nicht gänzlich unbekannt, so doch auf jeden Fall suspekt. Und weil es keine speziellen Orte für Jugendliche gab, belagern nun „Gammler und Hippies“ die Einkaufszentren und Parkanlagen. Schnell sind sie nur noch ein öffentliches Ärgernis.

Anfang der Achtziger ist auch die soziale Mischung der Wohngebiete verschwunden. Wer es sich leisten kann, ist ins Umland gezogen. Die öffentlich geförderten Wohnungen mit Mietpreisbindung sind nun von sozial schwachen Familien belegt. Gerade Lohbrügge-Nord entwickelt sich zu einem sozialen Brennpunkt.

Diese sozialen Verwerfungen sind sicherlich auch ein Grund dafür, dass die neo-nationalistische Szene um den Christian Worch hier ihre Basis sucht und weiter ausbauen kann. Bereits 1979 sieht sich die sozialdemokratische Mehrheit im Bezirksparlament gezwungen, an diesem sozialen Brennpunkt ein Jugendzentrum zu fördern, um den Rechtsextremen den Boden zu entziehen. Der Jugendtreff am Kurt-Adams-Platz, eine Einrichtung der evangelischen Kirchengemeinde in Lohbrügge-Nord, kann diese Arbeit allein nicht leisten.

Aber auch im sozial harmonischeren Bergedorf finden Jugendliche keine annehmbaren öffentlichen Treffpunkte. Zwar gibt es das das Lichtwarkhaus, ein staatliches Haus der Jugend mit Teestube und wöchentlicher Disco. Doch gibt es hier auch einen Hausmeister, der die Räume pünktlich zum Feierabend spätestens um 22 Uhr verschließt. Mit damals 100.000 Einwohnern hätte der Bezirk laut Verteilungsschlüssel mindestens drei Jugendzentren haben müssen (ein JZ pro 30.000 Einwohner).

Sie wollen nicht warten, bis die Jugend der Welt mit ihnen für den Umschwung sorgt, sondern sie wollen es jetzt und in ihrem Stadtteil Hamburg-Bergedorf.

Plakat zum Wutzrock-Auftakt am 15.05.1978 im Lichtwarkhaus in Hamburg-Bergedorf.

Wer sich dem ordnungsgemäßen Betrieb des Lichtwarkhauses nicht unterwerfen möchte, und vielleicht auch einmal Live-Musik hören möchte, ist angewiesen auf die zu dieser Zeit noch recht vielfältige Kneipenszene. Man trifft sich im Easy, in der Destille, der Post oder im Zumsel. Jedoch schließen diese Läden einer nach dem anderen, wegen auslaufender Mietverträge oder aus ökonomischen Druck. Doch formiert sich gerade allmählich eine linke Jugendkultur.

Die Gruppen organisierter Jugendlicher aus SDAJ, den Jusos, dem KB oder auch der Evangelischen Jugend überwinden ihre politischen Gräben und bilden mit gleichaltrigen, nicht organisierten Schülern, Schülerinnen und Auszubildenden eine „Aktionseinheit“. Die jeweilige Ideologie tritt in den Hintergrund; es geht tatsächlich und ganz pragmatisch um die Verbesserung der Freizeitsituation. Und diese Jugendlichen wollen nicht warten, bis die die Welt-Revolution für den Umschwung sorgt, sondern sie wollen jetzt und in ihrem Stadtteil Hamburg-Bergedorf ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung.

Das Altersspektrum der rund hundertköpfigen Gruppe reicht von 14 bis 24 Jahre, sie kommen aus allen sozialen Schichten. Selbstverwaltung bedeutet, dass die Besucher auch die Betreiber sind und selbst bestimmen, was im Juz passiert, welche Kurse oder Gruppen angeboten werden, wie die Räume genutzt werden. Selbstverwaltung heißt auch, dass es keine hauptamtlichen Jugendarbeiter oder Gruppenleiter gibt – und keine Hausmeister. Auch die Öffnungszeiten sollten selbst bestimmt sein. Selbstverwaltung heißt dann auch noch, dass die Kontrolle über staatlichen finanziellen Zuwendungen, die dem Zentrum zustehen, allein den Jugendlichen obliegt.

Die Idee der autonomen oder selbstverwalteten Jugendzentren kommt aus der Jugendbewegung der 70er Jahre. Doch die Anfang bis Mitte der 70er Jahre erkämpften selbst verwalteten Jugend- und Kulturzentren geraten schon gegen Ende des Jahrzehnts in große Schwierigkeiten. Teils hatten sie schlecht gewirtschaftet und mussten schließen, meistens aber waren sie ganz einfach politisch unerwünscht.

Anfang der 80er Jahre beginnt der konservative Rollback. In Westberlin will die geistig-moralische Wende mit aller Gewalt die Wohnkollektive in den besetzten Häuern bekämpfen, in Nürnberg wird das älteste selbstverwaltete Jugendzentrum der West-Republik, das „Komm“, von der Polizei umstellt, alle knapp 200 Besucher verhaftet und bis zu zwei Wochen festgehalten. Ihr Vergehen: Sie hatten für einen toleranteren Umgang mit Hausbesetzern demonstriert. London erlebt die bis dahin blutigsten Jugendkrawalle – no future gegen die Polizei. In der Hamburger Markthalle dürfen keine Punk-Konzerte mehr stattfinden.und in Zürich wird das Autonome Jugendzentrum (AJZ) von den Behörden geschlossen. Die Stadt erlebt einen erbitterten Jugendprotest. „Züri brennt“, das Motto der rebellierenden Jugendlichen, steht auch auf Bergedorfer Mauern gesprüht – und versetzt die Politik in Angst und Schrecken.

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„Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus...“

In diesem historischen Umfeld gründen die Bergedorfer Jugendlichen ordnungsgemäß erst einmal einen Verein. Im Juni des Jahres 1978 ist die konstituierende Sitzung von „Unser Haus - Verein für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in Bergedorf“. Der Name ist dem Refrain des (Georg-von-)Rauch-Haus-Songs von Ton, Steine, Scherben entliehen: „Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus...“.

Die erste öffentliche Veranstaltung des Vereins ist eine Solidaritätsparty am 7.12.1978 in den Räumen des befreundeten staatlichen JUZ im Nachbarort Reinbek. Angekündigt wird die Gründungsfete mit dem abgewandelten Vortext der Asterix-Hefte: „Wir befinden uns im Jahre 1978 n. Chr. Ganz Deutschland ist besetzt...Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Jugendlichen bevölkerter Verein hört nicht auf, für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum zu kämpfen. Und das Leben wird nicht leicht sein für die Bösewichter, die kein Jugendzentrum in Bergedorf sehen wollen.“

Auf satirische Art verdeutlicht diese erste Veranstaltung, wie bürokratisch und lebensfremd die Jugendarbeit in den staatlichen Häusern organisiert wird. Am Einlass erhält jeder Besucher Bezugsscheine, die zur Getränkebestellung ermächtigen („Achtung! Uhrzeiten beachten“) und auch die Anzahl der Toilettenbesuche ist festgelegt. Die Veranstaltung ist ein großer Erfolg, am Ende bleiben dem Verein 500 Mark sogar für die weitere Öffentlichkeitsarbeit. Am 6. Juni 1979 erfolgt die Eintragung ins Vereinsregister und „Unser Haus“ darf das Kürzel e.V. tragen.

Um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie groß die Unterstützung für den Verein ist und natürlich um weitere Gelder für die laufende Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit zu sammeln, soll ein Musikfestival stattfinden. Und weil es ein Fest so groß und legendär wie Woodstock werden sollte, und weil in der Nähe des Veranstaltungsortes ein Wildschwein-Gehege liegt, und weil man auf jeden Fall „die Sau rauslassen“ will, soll es Wutzrock heißen. Am 30. Juni 1979 feiern 2000 Menschen im Billtal-Stadion zu Bergedorf ihr erstes Wutzrock.

Am 30. Juni 1979 feiern 2000 Menschen im Billtal-Stadion zu Bergedorf ihr erstes Wutzrock.

Alle Bands spielen umsonst oder gegen Erstattung der Fahrtkosten. Die Künstler stammen zumeist aus Bergedorf und dem Umland und sind – selbstverständlich – dem Verein, vor allem der Idee verbunden. Irgendwie kennt jeder jeden und jede jede, zumal auch die Reinbeker dieses erste Wutzrock mitorganisieren.

Ausgelassen und laut feierte man damals unter dem freien Himmel des Billtal-Stadions. So geht es weiter – an wechselnden Orten, auf den Billewiesen, am Harvighorster Redder – und mit wachsender Unterstützung. Schließlich konnten das Bergedorfer Bürgertum und die Rathaus-Parteien die berechtigten Forderungen der beharrlichen Jugendlichen nicht mehr ignorieren – Unser Haus e.V. bekam mit dem Gebäude in der Wentorfer Straße 26 ein eigenes und selbstverwaltetes Dach überm Kopf. Das Haus war zunächst nur als Provisorium gedacht, bis Räumlichkeiten mit einem großen Veranstaltungsraum gefunden werden – eine der zentralen Forderungen des Vereins. Aber mit dem Einzug in die Wentorfer Straße war der Kampf um das Jugendzentrum vorerst gewonnen.

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Wenn Wutzrock ruft, helfen auch heute noch Aktivisten aus der Anfangszeit im Organisationsteam des Festivals, sie stehen an den Reglern des Mischpults oder als Bierzapfer hinterm Tresen. Obwohl das Festival seit Anfang der 90er Jahre an Größe zulegte, hat es nichts von seinem originären und alternativen Charme verloren. Dazu gehört auch, dass alle Menschen, die Wutzrock organisieren, dies völlig umsonst tun. Niemand bekommt Geld für seine Mitarbeit – es verlangt auch keiner. Auch die Künstler und Künstlerinnen treten nicht zu ihren regulären Gagen auf, sondern helfen mit, den Wutzrock-Gedanken zu unterstützen: Von den Menschen für die Menschen. Das ist Wutzrock: Solidarisch, nicht kommerziell, gegen Sexismus und antifaschistisch.

Das ist Wutzrock: Solidarisch, nicht kommerziell, gegen Sexismus und antifaschistisch.

Wutzrock „Umsonst & draußen“ finanziert sich fast ausschließlich durch den Getränkeverkauf, deshalb sind Fremdgetränke nicht erlaubt. Durch Sponsoren, denen wir anbieten auf dem Festivalgelände oder auf unseren Flyern, Plakaten und im Festivalguide Werbung zu machen. Durch Händler und Fressbuden, die uns Standmiete zahlen. Durch Künstler, die den Wutzrock-Gedanken unterstützen und für Spesen oder einen Bruchteil ihrer Gage auftreten. Durch Firmen, die für ihr Equipment und ihre Arbeit weniger Geld nehmen als sie es sonst tun oder es sogar kostenlos zur Verfügung stellen. Durch Spenden.

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